Abenteuerlust – Ein gefährliches Gesellschaftsphänomen

von Lehrmeisterin für Soziologie: Professorin Nadenia Wassermann

Einleitung

In unserem Königreich Kalmandor lässt sich in letzter Zeit vermehrt eine gesellschaftliche Entwicklung feststellen, die insbesondere junge Männer betrifft.

Die Rede ist von der Abenteuerlust. Früher war es gar unüblich, die Heimat zu verlassen und woanders nach seinem Glücke zu suchen. Heute gibt es immer mehr junge Burschen, die nach ihrem Dienst im Heere das Abenteuer außerhalb von Kalmandor suchen.

Immer mehr junge Männer zieht es auf die große See, wo sie als Freibeuter anheuern, oder sie reisen gen Norden, nach Djorikstet, um dort als Pelzjäger oder Pelzhändler reich zu werden.

Auch der Süden lockt viele an; die Universität zu Drestatk meldet vermehrt Anmeldungen von kalmandorischen Jungmännern. Sogar bis nach Al‘Hrasalam gelangen die Abenteuerlustigen, wo sie was auch immer suchen.

Für Kalmandor ist diese Entwicklung höchst schädlich, verliert unser Königreich so doch künftige Väter, Krieger und Gelehrte. Doch wie kommt es überhaupt zu dieser Entwicklung? Und, was können wir dagegen tun?

Die Entstehung der Abenteuerlust

Viele, darunter auch ich, sind der Auffassung, dass ein einzelnes Schriftwerk für diese Entwicklung ausschlaggebend ist.

Meine Abenteuerfahrten ins Ungewisse vom bekannten Abenteurer Djarkob Löwenkelch ist dieses Werk. In Meine Abenteuerfahrten ins Ungewisse beschreibt Löwenkelch seine verschiedenen Unternehmungen in die anderen Teile Katamtkas. Er glorifiziert und heroisiert seine Reiseerlebnisse und vermittelt der männlichen Jugend in Kalmandor ein völlig falsches Bild.

Unlängst hat er einen zweiten Teil dieses Werkes drucken lassen, welcher auf Märkten vorgetragen und verkauft wird.

Jeder junge Bursche will an Löwenkelchs Geschichten teilhaben. Die Bücher mögen für die meisten nicht erschwinglich sein, doch Kenner des Werkes halten Lesungen oder erzählen das Gelesene nach. Wie ein Lauffeuer verbreiten sich die Abenteuergeschichten.

Immer mehr junge Burschen packen kurzerhand ihre sieben Sachen und verlassen ihren Heimatort. Man möge nun annehmen, dass dies nur in Städten der Fall sei. Doch auch die Vororte und kleinen Dörfer haben nach und nach von den Geschichten erfahren. Und gerade die ländlichen Dorfbewohner sind von den Geschichten fasziniert. Glaubt doch nun ein jeder Försterssohn, er könne der nächste Löwenkelch werden und ebensolche Abenteuer erleben.

Es liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung für uns sehr schädlich ist. Es bleibt die Frage offen, wie wir dieser Entwicklung entgegenwirken können.

Lösungsmöglichkeiten

Eine Korrektur der Werke Löwenkelchs erscheint nicht möglich, wie auch? Die Barone und Vögte kümmert das Problem bisher nicht weiter. Der König sieht ebenso wenig einen Eingriffsbedarf. Ich habe dem Senator der Provinz Kalmandor bereits mehrere Briefe zukommen lassen, um ihn von dem Problem zu unterrichten.

Ob man gegen Löwenkelch vorgehen kann, vorgehen sollte? Ich weiß es nicht! Die Hauptfrage, die wir uns als Kalmandorier stellen müssen ist: Was ist an den anderen Teilen Katamtkas interessanter und veranlasst unsere Burschen dorthin zu ziehen? Wir müssen Anreize schaffen, damit die jungen Burschen hier im Land bleiben. Ein Ausreiseverbot erscheint nicht sinnvoll und ist obendrein schwer umzusetzen.

Eine Möglichkeit bestünde darin, den Sold der Wehrdienste zu erhöhen, was möglicherweise zu mehr Berufssoldaten führen würde. Andererseits könnte es die Abenteurer geradezu bestärken, haben sie so doch mehr Geld um sich Ausrüstung zu erwerben.

Die De-Mystifizierung von Löwenkelchs Geschichten ist auch schwierig. Wem würde man glauben? Würde eine De-Mystifizierung nicht geradezu dazu führen, dass viele die Abenteurerei erst ausprobieren wollen, weil sie immer noch den Heldengeschichten glauben schenken.

Ich möchte mit diesem Schreiben, das ich an viele meiner Schüler und mehrere Lehrmeister weiterreichen werde, einen Diskurs starten, der uns gemeinsam die Lösung dieses Phänomens anpacken lässt.

Gezeichnet

Nadenia Wassermann