# Der Weinkönig
von Unbekannt
Die Einnahmen dieses Jahres waren überaus zufriedenstellend. Ja, sie waren geradezu berauschend. Ebenso wie das Produkt, das sie erzeugte. Nachdem er das Dokument begutachtet hatte, lehnte Lord Finnelor sich zufrieden zurück in seinen mit Elchleder überzogenen Sessel.
Sein Anwesen lag nicht unweit entfernt von den Weinbergen. Hinter dem steinernen Bauwerk befand sich ein laues Mischwäldchen, das Finnelor nicht selten zur Jagd aufsuchte. Die Weinberge zogen sich kilometerweit durch die Gegend um die Stadt Tirest. Sieben Tagesritte waren es von hier bis zur Hauptstadt Salim, die von schillernden Kuppen und Dächern dominiert wurde. Ein Ort, den Finnelor, ebenso wie seinen Wald, gerne aufsuchte.
Der Grund für die Besuche lässt sich leicht erahnen, weiß man um die Popularität des dort gelegenen Bordells "Zur Goldenen Lust". Anzunehmen, dass Finnelor dort als Kunde einkehrt ist allerdings höchst falsch. Vielmehr ist er, Lord Finnelor, Besitzer der größten Brauerei Kalmandors, dort aus wirtschaftlichen Gründen anzutreffen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in einem Bordell der ein oder andere Tropfen getrunken und gekostet wird. Die dort einkehrenden Beamten und höher gestellten Personen lassen sich nichts als den besten Wein, das stärkste Bier und den süßesten Met einschenken.
Gestern zogen die zahlreichen, im Dienste Lord Finnelors stehenden Schatzmeister und Mathematiker Bilanz über die Erträge des vergangenen Jahres. Die Rebsorte des letzten Jahres war sehr ertragreich und dies spiegelte sich auch in den Zahlen wider. Höchst zufrieden nippte Finnelor, der eine rot-violette Montur mit goldenen Brokat-Stickereien trug, an einem Glas Wasser. Alkohol vertrug er nicht.
Gut so, dachte er sich. Finnelor plante zu expandieren. Ein neuer Edelwein sollte her. Der Süden und der Norden des Kontinents bot gewaltige Möglichkeiten zur Erweiterung des Imperiums.
Neben dem höchst bekannten Sonnentau-Wein, dessen Reben sozusagen vor Finnelors Haustür wuchsen, bot er Waldbrand, Honigmet, Waldbräu-Bier und Bergmann-Starkbier an. Letzteres war erst vor kurzem entwickelt worden. Die zahlreichen für Finnelor arbeitenden Forscher hatten einen Gärungsprozess entwickelt, der besonders starkes, raues, kräftiges, vollmundiges, süffiges Bier entstehen lies. Eben jenes Bergmann-Starkbier wurde zunächst an Bergmänner veräußert, um deren Kräfte zu stärken. Die gute Wirkung lockte aber alsbald auch sauflustige Arbeiter in den zahlreichen Kneipen Kalmandors an. Jeden Tag kamen neue Order, jeden Tag wurden neue Arbeiter eingestellt, die Felder vergrößert, der Arbeitsprozess optimiert.
Es wäre eine Untertreibung zu behaupten, das vergangene Jahr sei erfolgreich für Lord Finnelor gewesen. Der gemeine Bauer oder Arbeiter möge nun annehmen, dass dieser Lord Finnelor, ein kleiner, dicker Mann mit dicker Nase und ungepflegtem Bart, ein nicht gerade freundlicher Mensch wäre. Weit gefehlt! Lord Finnelor sieht sich, nicht zu unrecht, als jovialen Philanthropen. Er entlohnt einen jeden seiner Arbeit gut. Dies mag auch ein wesentlicher Grund für den vom ihm erzielten Erfolg sein.