# Die Entdeckung der Greifen
Im Schweiße seines Angesichts arbeitete der Bauer fleißig. Diesen Sommer war die Ernte sehr gut ausgefallen, dachte sich Bjorn. Er kratzte sich an seinem Bart und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Zusammen mit seiner Gilde, deren Anführer er war, hatte er vor ein paar Jahren Land südlich der großen Stadt Landow erworben. Dieses hatte sich als sehr ertragreich erwiesen, sodass schon kurze Zeit später Arbeiter eingestellt werden konnten, die für die Gilde arbeiteten.
Neben Weizen wurden verschiedene Obstbäume bewirtschaftet und befreundete Jäger nutzen die Bergwälder, um dort zu jagen. Außerdem gab es gut beweidbare Wiesen, die Viehzucht ermöglichten. Die Erzeugnisse wurden von der Kaiserlichen Karawane nach Landow gebracht, von wo aus ein Weitertransport nach Tirest erfolgte, das nur zwei Tagesritte entfernt war.
Insgesamt war die Situation der Bauerngilde »Landower Bergbauern«, wie sie sich nannten, gut. Doch seit ein paar Wochen häuften sich Ereignisse, die Bjorn Sorgen bereiteten. Ein Schäfer, der die Berghänge des Sirals für seine Herde nutzte, berichtete von mehreren toten Schafskadavern. Die Jäger hatten die toten Tiere untersucht, doch konnten die Wunden keiner bekannten Tierart zuschreiben. Die Bäuche der Schafe waren von großen Tatzen aufgerissen. Ein Wolf vermochte das nicht zu tun.
Früher hatte es einen großen Höhlenbären in der Region gegeben, der für Angst und Schrecken sorgte. Doch dieser wurde bei einer großen Jagd getötet und sein Kopf ziert nun das Büro des Landower Stadthalters, der sich auch Bürgermeister zu nennen pflegte. Ab und zu hatte sich ein Bergtroll, eine doch eher unangenehme Kreatur, in die Nähe der Siedlungen verirrt und auch Menschen getötet. Doch ein Bergtroll hinterlies für gewöhnlich keine Kadaver, sondern brachte seine Beute in seine Höhle.
Es musste etwas anderes sein, dachte Bjorn, der seinen Kumpanen andeutete, eine Pause zu machen. Die toten Schafe waren das Hauptgesprächsthema der letzten Wochen gewesen, und man erzählte sich bereits Geschichten von Ghulen und Geistern, die in der Gegend gesichtet worden seien. Bjorn glaubte nicht an diese Geschichten. Die meisten anderen Gildenmitglieder auch nicht, doch es gab genug, die es taten. Der Stadthalter von Landow, Maryn von Goldhaupt, hatte bereits eine Expedition in die Berge geschickt. Doch diese vergnügte sich eher mit dem Konsum des köstlichen Bergmann-Starkbiers, das in den Bergbrauerein des Weinbarons Lord Finnelor hergestellt wurde.
Abgesehen von den paar Schafen, hatte es noch keinen Menschen getroffen, weshalb das Interesse des Stadthalters nicht so groß war. Solange seine Beamten die zu entrichtenden Steuern einzogen, war er zufrieden.
Bjorn hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Er wusste nicht warum. Die paar toten Schafe waren wirtschaftlich für die Gilde gut verkraftbar, keine Frage. Aber Bjorn war unzufrieden, wenn es ein Problem gab, das er nicht lösen konnte.
»Wir müssen uns diese Vorfälle angucken!«, sprach er in die Runde von Bauern, die sich auf Mistgabeln stützten.
»Ach was«, entgegnete ein kleiner dicker Bauer, der eine andere Meinung vertrat. Er fuhr fort: »Was scheren dich denn die toten Schafe da?! Solange es uns gut geht, soll’s mir doch egal sein, wenn eins von den Viechern abkratzt…«
»Papperlapapp, was du schon wieder redest, Nurbert. Du kümmerst dich ja doch nur um dich selbst. Aber was, wenn es mal einen Menschen trifft. Deine Frau zum Beispiel?« antwortete nun Haro, ein junger, aber intelligenter Bauer.
»Als ob. Die alte ist ja doch nur zu hause, um von mir gefickt zu werden. Macht sonst nichts, die alte Schachtel. Und wenn schon, dann hole ich mir halt eine neue.« »Wenn kümmert denn deine alte Frau? Ich habe Kinder, die draußen spielen. Was, wenn denen was passiert? Ich finde auch, dass wir der Sache auf den Grund gehen sollten« sagte Wilfried, ein guter Freund von Bjorn.
»Na macht doch wenn ihr wollt. Ich gehe jetzt nach hause. Ich habe für heute genug geochst und mir jetzt ein Abendbrot verdient. Hoffentlich hat meine Alte das heute nicht vergessen.« sagte Nurbert, der auf dem Absatz kehrt machte und in Richtung Dorf ging.
»Ich bin froh, dass er weg ist!« sagte Haro.
»Aber er hat doch recht« sagten ein paar andere Bauern fast gleichzeitig, »Die Schafe kümmern niemanden. Dem Schäfer geht es auch so gut.« Eine weitere Gruppe von Bauern löste sich von der Gruppe. Neben Bjorn, Haro und Wilfried, waren noch ein gutes Dutzend andere Bauern auf dem Feld, die nun wild diskutierten. Manche hatten Angst, andere vermuteten einen Wolf oder dergleichen und taten die toten Schafe als Lapalie ab. Wieder andere, vor allem junge Bauern, wollten der Sache auf den Grund gehen. Sie hofften auf ein Abenteuer.
Am Ende verblieb eine kleine Gruppe motivierter Bauern. Bjorn, der als Gildenanführer nun das Wort hatte, sprach zur Runde: »Wir werden nächste Woche eine eigene Expedition in die Berge starten. Wir brauchen noch Waffen und einen Jäger, der für uns Fährten liest und uns begleitet.« Es wurde noch ein bisschen diskutiert, wie die Expedition ablaufen solle, dann verließen die Bauern das Feld und machten sich an die Vorbereitung. Eine Woche später starteten 13 Mann, darunter zwei Jäger mit Pfeil und Bogen, sechs Bauern, ausgerüstet mit behelfsmäßigen Schwertern, zwei Schankwirte (alte Abenteurer, die wieder eine Herausforderung suchten), ein Müller, ein Schmied, sowie ein junger Adliger aus Landow, der sich als Abenteurer verdingen wollte.
Der westliche Siral gilt als schwieriges Gebirge. Er ist wenig erforscht und geht im Süden in einen Canjonlandschaft über. Noch niemand hat die Überquerung dieser unglaublichen Bergkette gewagt. Manche Abenteurer sind mit Schiffen in die Bucht der Stille gefahren, um von dort den Siral zu erkunden.
Im Gebiet um die Bucht der Stile, die nördlich der Stadt Deshra liegt, ist der Siral flach und zugänglich. In der Küstenregion herrscht ein warmes, subtropisches Klima. Die Gewässer sind bekannt für die ruhige See, die jedoch von zahlreichen Haien heimgesucht wird.
Den Namen trägt sie allerdings aus mehreren Gründen. Zum einen, wegen der windarmen See. Zum anderen, wegen den vielen Abenteurern, die nach ihrem Landgang nie wieder gesehen worden waren. Manche erzählen von Piraten, die in den zerklüfteten Buchten leben. Andere machen die Haie verantwortlich, was allerdings unwahrscheinlich erscheint. Wieder andere vermuten eine Gefahr, die mitten im Siral herrscht. Dieser Gefahr begegnete unsere Expedition. Keiner der 13 abenteuerlustigen Männer, kehrte je wieder in die fruchtbare Region südlich von Landow zurück.